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Jena-Korsika
Radtour mit 3500km und 35.000 Höhenmetern
Jena Korsika u. z. mit dem Fahrrad |
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| 10. Juli 05. August 2006 | |
| Bericht: Ralf Mehr | |
| 10.07.2006 | Jena - Bamberg 198 km, 7:43 h, 1708 hm |
| 11.07.2006 | Bamberg - Dillingen (Donau) 200 km, 7:40 h, 1570 hm |
| 12.07.2006 | Dillingen - Füssen 153 km, 5:56 h, 963 hm. |
| 13.07.2006 | Füssen - Sölden am Timmelsjoch (1200m) 128 km, 5:56 h, 2006 hm |
| 14.07.2006 | Sölden - Pratt am Stilfserjoch (945m) Timmelsjoch (2500m) 126 km, 5:55 h, 2045 hm |
| 15.07.2006 | Pratt Livigno (1800m) Stilfserjoch (2757), Passo di Foscagno (2291), Passo dŽEira (2209) 84 km, 5:17, 3010 hm |
| 16.07.2006 | Livigno-Bellinzona (300m) Forcola di Livigno (2315), Passo del Bernina (2328), Albulapaß (2312), Passo del San Bernardino (2065) 195 km, 8:06, 3100 hm |
| 17.07.2006 | Bellinzona - Ponte Erro 265 km, 9:48, 1065m |
| 18.-25.07.2006 | Strand, Meer, Korsika und dann nach Nizza aber trotzdem 550 km und 6800 hm |
| 26.07.2006 | St. Martin du Var-St. Paul (1500m) Col de la Bonette (2802m) 128 km, 6:17 h, 2931 hm |
| 27.07.2006 | St. Paul - Col du Lautaret (2057m) Col de Vars (2108m), Col d`Izoard (2380m) 106 km, 5:33 h, 2880 hm |
| 28.07.2006 | Col du Lautaret-Val dŽIsere (1800m) Col du Galibier (2642m), Col du Télégraphe (1566m), Col de l`Iseran (2762) 134 km, 6:33 h, 3028 hm |
| 29.07.2006 | Val dŽIsere Aosta (500m) Col du Petit St. Bernard (2188m) 112 km, 4:38 h, 1865 hm |
| 30.07.2006 | Aosta Brigg Col du Grand St. Bernard (2469m) 170 km, 6:41 h, 2409 hm |
| 31.07.2006 | Brigg-Thusis (700m) Furkapaß (2431m), Oberalppaß (2044m) 165 km, 7:07 h, 2983 hm |
| 01.08.2006 | Thusis - Pratt am Stilfserjoch Flüelapaß (2383m), Ofenpaß (2149m) 134 km, 6:19 h, 2961 hm |
| 02.08.2006 | Pratt am Stilfserjoch-Brez Stilfserjoch (2757m), Passo di Gavia (2621m), Passo del Tonale (1884m) 155 km, 8:15 h, 4113 hm |
| 03.08.2006 | Brez Canazei (1500m) Passo di Mendola (1363m), Karerpaß (174m) 90 km, 4:54 h, 2265 hm |
| 04.08.2006 | Canazei Heiligenblut (1200m) Passo Pordoi (2239), Passo di Falzarego (2105) 157 km, 6:31 h, 2490 hm |
| 05.08.2006 | Heiligenblut Rosenheim Großglockner (2500m) 195 km, 8:09 h, 2489 hm |
| Die Etappen im Detail | |
| 10.07.2006 | Jena - Bamberg 198 km, 7:43 h, 1708 hm Am 10. 07. fahre ich morgens mit dem Rennrad und etwas Gepäck in Jena los. Ich habe dabei: Zelt Isomatte, Sommerschlafsack, einige Wechsel- und Regenklamotten, Zivilsachen, Tevalatschen, Zahnbürste, Handtuch, Rasierer, etwas Proviant, Taschenmesser, einige Imbusschlüssel, Flickzeug, Ersatzreifen etc, ec-Karte, Landkarten von Süddeutschland, Westösterreich, Südtirol, Norditalien, der Schweiz und den französischen Alpen sowie einen Reiseführer von Korsika, das alles in einer Lenker- und einer Vaude Tasche an einem eigens montierten Leichtgepäckträger, insgesamt etwa 10 kg, was ein zügiges Fahren erlaubt. Den ersten Tag gehe ich entspannt an: B-88 bis Rudolstadt, dann das Schwarzatal hoch bis auf den Thüringer Wald, von dort irgendwie runter ins Frankenland. Am frühen Nachmittag erreiche ich Bamberg. Der Tag war heiß und trocken, so wie ich es liebe. Auch die folgenden 3 Wochen sollen nicht anders sein, bis sich dann Anfang August das Wetter ausgerechnet in den Alpen umstellte. Dazu komme ich noch |
| 11.07.2006 | Bamberg - Dillingen (Donau) 200 km, 7:40 h, 1570 hm |
| 12.07.2006 | Dillingen - Füssen 153 km, 5:56 h, 963 hm. Voralpenland und Allgäu bekomme ich gegen Mittag zu spüren. Dann kommt auch im Süden die erste Alpenkette in den Blick. Die Stimmung ist gut. Heute bleibe ich am frühen Nachmittag am Foggersee bei Füssen. Auf der anderen Seeseite kann man im Berghang Neuschwanstein sehen. |
| 13.07.2006 | Füssen - Sölden am Timmelsjoch (1200m) Hahntennjoch (1894m) 128 km, 5:56 h, 2006 hm Ich verlasse am Morgen Deutschland nach Süden und steige sofort in die Berge. Der erste Paß ist das Hahntennjoch und die Anfahrt ist genauso wie ich sie von österreichischen Pässen kenne: Steigung mindestens 10%. Oben wirkt es schon recht hochalpin. Ich habe ein Jahr darauf gewartet und lege daher eine längere Vesperpause ein. Dann geht es runter ins Inntal und drüben gleich wieder hoch Richtung Timmelsjoch. Ein Gewitterschauer macht mich vorsichtig, ich bleibe in Sölden (1200m), dem letzten Ort vor der Paßhöhe (2500), die ich mir für den nächsten Morgen als Frühsport aufspare. |
| 14.07.2006 | Sölden - Pratt am Stilfserjoch (945m) Timmelsjoch (2500m) 126 km, 5:55 h, 2045 hm Die Anfahrt ist, wie in Österreich zu erwarten, steil und ich bin, da ich den Paß kenne, vorgewarnt, daß es ab der Mautstation (auf etwa 2000m) erstmal wieder 300 hm runter geht, bevor der letzte Anstieg beginnt. Wer das nicht weiß, wird wahrscheinlich Flüche in den Fahrtwind schreien. Die spare ich mir für später. Gelegenheit werde ich noch haben. Oben bin ich an diesem Tag der erste (1. Foto). Ich freue mich darüber und fahre dann sogleich Richtung Meran ab. Die Abfahrt beschert mir den ersten Hungerast. Sh.., du merkst es erst, wenn die Strecke wieder gerade wird. In Meran sehe ich die ersten Palmen, fahre dann aber trotzdem wieder Richtung Berge, nämlich Richtung Reschenpaß. Die Strecke ist nicht zu empfehlen lebensgefährlich weil stark befahren aber es gibt keine Alternative, wenn man von Meran zum Stilfserjoch, den nach meinen Begriffen spektakulärsten Alpenpaß will. Parallel zur Fernstraße gibt es einen Radweg, den Etschtalradweg (für Rentner), aber man kommt dort nicht so recht voran. Ich nehme ihn dann trotzdem, ist recht schön: Landschaft, Gebirgsbach, Weinberge, schöne Dorfdurchfahrten, aber nicht, wenn man vorwärts kommen will. Nachmittags bin ich in Pratt. |
| 15.07.2006 | Pratt Livigno (1800m) Stilfserjoch (2757), Passo di Foscagno (2291), Passo dŽEira (2209) 84 km, 5:17, 3010 hm Von Pratt sind es 25 km bis aufs Stilfserjoch. Dazwischen liegen 1800 hm. Die Anfahrt ist ein Radfahrertraum. Man ist dort nie alleine. Wer richtig gut ist, schafft es in 1:30 h. Ich aber gebe mich mit heute 2:26:15 h zufrieden. Der Wurstverkäufer oben kennt mich schon. Vor drei Jahren hatte ich mal nach einem Rabatt gefragt, weil ich zwei Würschtl gekauft hatte. Er hatte gemeint, bei fünfen könne man darüber reden. Seitdem hatte ich jedes Jahr brav bei ihm gekauft. Die Abfahrt Richtung Bormio (1200m) ist rasant, unbeschreiblich und einfach grandios. Im mittleren Bereich, ab etwa 2000 m abwärts wird sie dann auch noch richtig gefährlich: enge Straße, die sich an den Rand einer Schlucht schmiegt und immer tiefer in diese hineinführt. Ab und zu kommen enge, unbeleuchtete Tunnels, in denen das Wasser von der Decke tropft. Wenn Du hineinfährst, siehst Du von einem Moment auf den anderen nichts mehr das kann Dein Grab werden. In Bormio geht es dann rechts ab Richtung Livigno. Der Weg führt noch über zwei Pässe (Passo di Foscagno und dann nach einer kurzen Abfahrt auf 2000 m über den Passo dŽEira nach Livigno (1800 m). Man darf die Strecke nicht Samstags fahren, denn Livigno ist eine Zolloase: Fusel, Parfüm, Zigaretten sind dort billiger. Das ganze Tal ist voll von solchen Läden, die dann Samstags ganze Wagenkolonnen von Besuchern anziehen. In Livigno bleibe ich. Die Stadt sieht von oben aus wie eine Goldgräbersiedlung. |
| 16.07.2006 | Livigno - Bellinzona (300m) Forcola di Livigno (2315), Passo del Bernina (2328), Albulapaß (2312), Passo del San Bernardino (2065) 195 km, 8:06, 3100 hm. Die Straße in meine Richtung ist am Morgen voll von Radrennfahrern. Ich frage nicht weiter und reihe mich ein. Trotz meines Gepäcks fühle ich mich irgendwie zugehörig. Jemand weist mich darauf hin, daß ich wohl meine Startnummer vergessen hätte: Es ist der Engadiner Radmarathon, in den ich da geraten bin. Schnell finde ich die richtige Stelle in der Meute (hinterher erfahre ich, es waren um die 2000), wo ich mithalten kann. Man spottet, frötzelt, treibt sich gegenseitig mit der Luftpumpe in die Führung, wie das unter Radrennfahrern so üblich ist. Im Windschatten jage ich mit über den Forcola di Livigno, den Berninapaß und den Albulapaß (Foto 3). Ich sehe einige Fichkona-Trikots und denke an eine schöne Tagestour vor zwei Jahren zurück. Kurz vor Tiefencastel trennen sich die Wege. Der Marathon geht die Landwasserstrecke nach Davos und von dort über den Flüelapaß zurück nach Zerrnez im Inntal, dem Ausgangspunkt. Ich hingegen fahre weiter talwärts über Tiefencastel nach Thusis (700m) am Hinterrhein, wo ein weiterer sehr schöner Streckenabschnitt beginnt: die Viamalaschlucht. Die Steigung ist bequem zu fahren, kaum mehr als 5%. So endet man dann nach etwa 3 Stunden in Hinterrhein (1500m), einem kleinen idyllischen Bergdorf (4. Foto), wo dann die letzte Steigung zum San Bernardino-Paß beginnt (oben: 5. und 6. Foto). Am späten Nachmittag erreiche ich Bellinzona (300m). |
| 17.07.2006 | Bellinzona - Ponte Erro 265 km, 9:48, 1065m Für heute habe ich mir vorgenommen, bis zum Mittelmeer zu fahren. Die ersten 100 km geht es entlang am Lago Maggiore. Landschaftlich ist es schön (See und Berge), aber man kommt nicht so recht vorwärts. Es ist immer die Crux in den Alpen, tagsüber talauswärts zu fahren, denn spätestens gegen 10:00 Uhr steht der Wind Richtung Berg. Damit habe ich gerechnet, aber genervt bin ich trotzdem. Am Ende des Sees schließt sich eine endlose, heiße, teilweise sumpfige Ebene an, die man nur lieben oder hassen kann. Ich habe mich noch nicht entschieden: sie hat jedenfalls ihren eigenen Charme, der irgendwie an den wilden Westen erinnert und sie ist geschichtsträchtig: Hier haben im Mittelalter zahllose deutsche Kaiser lange Zeit mit Feldzügen, meist gegen Mailand, verbracht. Heinrich VI. ist wohl hier an Durchfall gestorben. Man sollte hier eben nicht aus Bächen und Flüssen trinken. Vorwärts kommt man hier richtig schnell, wenn man den richtigen Rhythmus gefunden hat. Ich nehme die Schnellstraße Richtung Novara und fahre dann weiter bis Mortara. Der Verkehr hält sich in Grenzen; die Straße ist breit genug für alle. Dann weiter Richtung Valenza (dort überquert man den Po, 7. Foto), Alessandria (Heimat von Umberto Eco) nach Acqui Terme. Ab dort ist dann der letzte Alpenzipfel Richtung Mittelmeer zu überwinden, aber für heute habe ich mich entschieden, nicht mehr bis zum Meer zu fahren. In Acqui Therme kaufe ich mein Abendbrot (Käse, Panini, Obst, Milch, Wasser) und fahre eine kleine Schlängelstraße entlang dem Erro bis kurz vor die Höhe, von der dann die Abfahrt nach Albisola Marina beginnt. Am Fluß finde ich abseits der Straße einen schönen Platz für das Zelt (8. Foto) und lasse es mir gut gehen. |
| 18.-25.07.2006 | Strand, Meer, Korsika und dann nach Nizza aber trotzdem 550 km und 6800 hm Bis zum Meer sind es etwa 20 km. Der Fährhafen Richtung Korsika ist noch mal etwa 20 km die Küste entlang in Vado Ligure etwas westlich von Savona. Ich buche die Fähre am nächsten Morgen und verbringe den Rest des Tages am Strand. Jetzt nehme ich mir auch erstmals richtig Zeit für den Reiseführer, habe Spaß an Sonne, Strandbar mit Cappucino, Faulheit, Meer und Sand. Die Nacht verbringe ich am Strand, fotografiere den Sonnenaufgang und setze dann die Faulheit auf der 6 Stündigen Überfahrt fort. Bis zur Ankunft in Bastia bin ich entschlossen, den Tag mit einer Tour in den Norden der Insel abzuschließen. Ich genieße eine sich Richtung Cap Corse schlängelnde Küstenstraße mit Rückenwind, schlage mich dann über eine mit trockenen Wäldern und Machia überzogene Anhöhe auf die Westseite der Insel (Fotos 9 und 10) und lande dort in einem verschlafenen Fischerdorf namens Century Port, wo es außerdem noch einen Yachtfafen und einen Campingplatz gibt. Das Meer ist spiegelglatt und klar. Beim Schwimmen fällt mich ein Tentakeltier an aber ich schaffe es zurück ans Ufer und verlasse diesen Ort am nächsten Tag auf der sich in die Steilküste schmiegenden Straße Richtung Süden (Fotos 11 und 12). Die nächsten Tage fahre ich dann kreuz und quer über die Insel, bleibe dann 2 Tage auf einem Campingplatz bei Tiuccia am Golf von Sagone (Westküste). Dann geht es entlang der Küste durch eine teils aufregende Landschaft wieder nach Norden (Fotos 13-17). Es ist extrem heiß. In Calvi (Foto 19) bleibe ich dann noch mal 2 Tage. |
| 25.07.2006 | Am 25. 07. buche ich die Nachmittagsfähre nach Nizza. Den Vormittag nutze ich für eine letzte Tour durch die knochig trockene, bergige, mit Olivenhainen bestandene Gegend nordöstlich von Calvi, die man die Balagne nennt. Dies soll der Obstgarten von Korsika sein (Fotos 20-23) Foto 23 ist ein Suchbild: Wer entdeckt die meisten Autowracks? Auf der Überfahrt nach Nizza macht sich der Wetterumschwung bemerkbar: Es ist diesig und es weht ein steifer Nordwestwind. In Nizza laufen wir gegen 20.00 ein. Ich brauche in der einbrechenden Dunkelheit etwa eine Stunde (Fluch!!), den Reifen zu reparieren und Glassplitter aus dem Mantel zu extrahieren. Leider habe ich nicht alle erwischt. Die Übung habe ich daher die Folgetage noch zweimal wiederholen müssen. Dann kommt der Abschied vom Meer. Ich nehme die N 202 nach Norden, eine gammelige zweispurige Ausfallstraße, die erst nach etwa 20 km erträglich wird. Es ist aber abends und kaum Verkehr. Der Wind hat sich gelegt und irgendwo in der Dunkelheit vor mir, in den Alpen, tobt ein Gewitter. Es grollt entfernt, wetterleuchtet und ist unheimlich. Ich stolpere gegen 22.00 Uhr von der Straße und baue nach Tastsinn das Zelt auf. |
| 26.07.2006 | St. Martin du Var - St. Paul (1500m) Col de la Bonette (2802m) 128 km, 6:17 h, 2931 hm Es geht wieder in die Berge. Das Gewitter in der Nacht hat sich abgeregnet. Die Luft ist klar. Schnell kommen die ersten Schluchten, die der Var in die Seealpen gegraben hat und an dem es nun ein ganzes Stück entlanggeht. Der Wind baut sich in meine Richtung auf: Gut zum Vorwärtskommen und Zeichen für gutes Wetter. Vorerst. Gegen 14.00 bin ich auf dem Col de la Bonette, dem höchsten Alpenpaß (Fotos 25 und 26), eigentlich kein richtiger Paß, denn die (ehemalige Militär)Straße führt einfach auf den höchsten Berg der Umgebung hinauf. Oben ist es also wie auf dem Dach der Welt und man blickt auf die karge Mondlandschaft der Seealpen hinunter. Nach ausgiebigem Vesper fahre ich hinab nach Barcelonette und von dort in den nächsten Paß hinein, den Col de Vars, den ich jedoch erst am Folgetag zum Frühstück nehme. Heute bleibe ich in St. Paul, einem kleinen, verschlafenen französischen Bergdorf auf 1500 m Höhe, in dem die Einheimischen abends auf dem Kirchvorplatz Boule spielen. |
| 27.07.2006 | St. Paul - Col du Lautaret (2057m) Col de Vars (2108m), Col d`Izoard (2380m), Col du Lautaret (2057m) 106 km, 5:33 h, 2880 hm Über den Col de Vars geht es hinunter nach Guillestre, einer wunderschönen, mittelalterlich anmutenden Kleinstadt, die ich aber diesmal links liegen lasse. Weiter geht es dann eine teils aufregende Schlucht (mit Rückenwind) hinauf bis zum Chateau Queyras, einer imposanten Festungsanlage. Das Gebiet hier ist Nationalpark und wohl eine der schönsten Gegenden der französischen Alpen. Am Chateau zweigt der Weg links ab hinauf zum Izoard. Die Paßhöhe ist karger Sandstein (Foto 28). Der Wind hat hier bizarre Figuren in den Fels geschliffen. Die Spuren der Tour de France sind auf der Straße unübersehbar. Ich suche meinen eigenen Namen, kann ihn aber nicht finden. Offenbar fahre ich zu schnell den Berg hinauf. Nach ausgiebiger Vesperpause schnelle Abfahrt nach Briancon (1200m) und von dort auf der N 91 Richtung Galibier. Die Anfahrt ist ideal: Sie schlängelt sich über 25 km recht gerade und mit geringer Steigung ein Flußtal hinauf bis zum Col du Lautaret (2057m). Dort zweigt auf der Paßhöhe unmittelbar die Rampe zum Galibier ab. Jedoch tobt an diesem Nachmittag in den Bergen vor und links neben mir ein Gewitter und die Regel, daß tagsüber der Wind berghoch weht, ist auf den Kopf gestellt. Das Gewitter verzieht sich, ich fahre hoch zum Lautaret, wo ich auf einer sattgrünen Bergwiese vor imposanter Bergkulisse (Massif des Écrins, gletscherbedeckt, knapp 4000 m) den Rest des Nachmittags verbringe, mich nicht satt sehen kann und daher beschließe, die Nacht hier zu bleiben. Campen ist zwar verboten, aber es steht hier eine ganze Kolonie von Wohnmobilen, die das nicht interessiert. Ein Zelt wird wohl niemanden stören. Ich suche mir einen schönen Platz etwas abseits und warte ab. Das nächste Unwetter zieht heran. Das Zelt will ich nun nicht mehr aufbauen. Die Stangen waren die letzten Tage mehrmals gebrochen und ich wollte nichts riskieren. Es regnet sich schnell ein, die Dämmerung beginnt und es ist Zeit für einen lauten Fluch. Ein km zurück, Richtung Briancon befindet sich am Straßenrand ein Gite dŽetappe, eine Art Jugendherberge, die ich vom letzten Jahr kenne. Ich beschließe, dorthin zurückzufahren, finde aber eine geschlossene Tür. Bei der Hochfahrt war sie noch offen. Die junge Herbergsdame ist nur dort, wenn sie Gäste hat, heute war dies wohl nicht der Fall. Der Regen hört nicht auf. Dann kommen aus der Dunkelheit zwei Radfahrer, auch mit Rennrad und Gepäck. Sie kommen vom Galibier und wollen hier übernachten. Zum Glück haben sie ein Handy und rufen die Herbergsdame. Der Abend ist gerettet. Die Übernachtung kostet hier 12 und alles ist sehr gepflegt. Die Dame schaut mich an und fragt, ob ich denn letztes Jahr schon mal hier war. Oui, Madame. |
| 28.07.2006 | Col du Lautaret - Val dŽIsere (1800m) Col du Galibier (2642m), Col du Télégraphe (1566m), Col de l`Iseran (2762) 134 km, 6:33 h, 3028 hm Das schlechte Wetter setzt sich fest. Kaum sitze ich auf dem Rad, fängt es an zu regnen. Auf dem Galibier bin ich der erste, es ist 9.00 und ich sehe aus wie ein begossener Pudel (Foto 29). Der Regen hört auf. Ein Holländer steigt aus seinem Wohnmobil und erzählt mir, daß es sehr gesund sei, hier oben zu übernachten. Das habe ich nicht gewußt. Er hat einen Hund dabei, der auch sehr gesund aussieht. Landschaftlich ist die Abfahrt vom Galibier nach Valloire ein Traum (Foto 30) Ich ärgere mich aber über die Kälte (etwa 5 Grad beim Abfahren die Hölle, wenn man keine Zeitung und keine Handschuhe dabei hat) und die nasse Straße, denn die Kette wird schmutzig und dort kann ich Schmutz nicht ausstehen. Valloire liegt auf etwa 1400 m. Auch dort ist mir noch kalt. Dann kommt ein Anstieg auf den Col du Télégraphe, der mir gelegen kommt, denn so wird man warm. Von dort geht es ganz runter ins Tal nach St. Jean de Maurienne (etwa 500m). Dort nehme ich die D 74. Es geht ganz gemächlich ein Flußtal hinauf. Das Wetter kann sich nicht entscheiden. Zwischen längeren Sonnenabschnitten fallen immer wieder Regentropfen aber der Wind steht in meine Richtung und zum Nachmittag hin stabilisiert sich die Sonne. Unterwegs hole ich dann die vorletzten Glassplitter von Korsika aus dem Hinterreifen, was etwa eine Stunde dauert. Ich möchte noch über den Col de l`Iseran nach Val dŽIsere fahren. Das schlechte Wetter hat noch nicht aufgegeben. In der Rampe zum Iseran wir es schnell rauh, der Wind aus der falschen Richtung frischt auf, ich höre Donner und gebe was ich kann: Keine Abfahrt im Regen! Es droht zu kippen. Oben (Foto 31) beginnt es zu nieseln. Es wird eine selbstmörderisch schnelle Talfahrt nach Val d`Isere (1800m). In einigen Kehren regnet es, einige sind noch trocken. Letztlich komme ich dem Regen davon. Bei Spar (ist in Frankreich sehr häufig) hole ich mein Abendbrot (Obst, Baguette, Käse, Milch: das Übliche und das reichlich). Auf dem Campingplatz schaffe ich es, vor dem Regen das Zelt aufzubauen. Die gebrochenen Stangen habe ich nach einem bereits tagsüber gefaßten Plan geflickt, der mir tags zuvor noch nicht eingefallen war. Im trockenen Zelt, auf das dann sehr schnell das Unwetter eindrischt, verzehre ich in Ruhe mein Abendbrot. |
| 29.07.2006 | Val dŽIsere Aosta (500m) Col du Petit St. Bernard (2188m) 112 km, 4:38 h, 1865 hm Der Morgen in Val d`Isere beginnt mit herrlich klarer Luft und Sonnenschein (Foto 32). Im Flußtal geht es stetig bergein bis nach Bourg St. Maurice. Ich muß mich tendentiell rechts halten, um in den Anstieg zum kleinen St. Bernhard zu kommen. Es gibt hier irgendwo eine Abkürzung, bei der man vermeiden kann, ganz bis hinunter in den Ort zu fahren. Auf meiner Karte ist sie ungenau eingezeichnet. Ich kenne sie vom letzten Jahr, als ich die Strecke mit einem Radfahrer Kollegen gefahren bin, den ich zufällig am Iseran getroffen hatte und der in meiner Richtung unterwegs war. Wir waren dann bis Martigny in der Schweiz knapp zwei Tage zusammen gefahren. Nur hatten wir soviel gequatscht, daß ich mich an die genaue Stelle der Abzweigung nicht mehr erinnern konnte. Ich nahm also die nächste mir plausibel erscheinende Stichstraße nach rechts und endete nach etwa einer Stunde in einem Skiort, wo es nicht mehr weiter ging. Wenigstens war die Landschaft hier sehr schön. Dann versuchte ich, irgendwie auf gleicher Höhe weiter Richtung St-Bernhard zu kommen, aber das war aussichtslos. Es gab nur isolierte Stichstraßen, die alle vom Tal hinauf in einzelne Bergdörfer führten, die aber untereinander nicht verbunden waren. Nach zwei Stunden war ich dann wieder auf der Hauptstraße im Tal etwa 2 km unterhalb der Stelle, an der ich in das Skigebiet abgebogen war. Dann kam mir die Erinnerung, als ich den Wegweiser Richtung La Rosiere sah. Dort mußte ich rechts hoch und diesmal stimmte es. Gegen Mittag war ich auf dem Paß (Foto 33). Das Wetter machte inzwischen wieder einen instabilen Eindruck und ich beschloß, heute nur noch bis Aosta zu fahren, eine Stadt, die ich mir schon länger näher anschauen möchte. Von der Paßhöhe sind es etwa 40 km Abfahrt mit zum Teil schönem Blick auf das Mt. Blanc Massiv (Foto 34). Irgendwo auf halber Höhe verliere ich dann nochmals eine Stunde mit dem nun letzten Glassplitter aus Korsika im Hinterreifen. Die Entscheidung, in Aosta zu bleiben paßt. Ich leiste mir ein schönes kleines Hotel für 29 (der Preis ist eine Sensation; man zahlt für ein Einzelzimmer auch schnell mal 100) mit Balkon und Blick auf die Altstadt (Foto 35). Den Nachmittag laufe ich in der Stadt umher, esse Eis und Pizza. |
| 30.07.2006 | Aosta Brigg Col du Grand St. Bernard (2469m) 170 km, 6:41 h, 2409 hm Sonntag. Schön, wenn man den Tag nach einem guten Frühstück und bei schönem Wetter mit einem Paß beginnen kann. In Aosta startet man auf 500m und der große St. Bernhard hat 2469m, dazwischen 35 km, die ich in 2:38 h fahre. Anfangs läuft der Anstieg auf der Hauptstraße, aber es ist Sonntag und der Vormittagsverkehr hält sich in Grenzen. Die Steigung ist gleichmäßig und man kann gut auf Autopilot schalten. Auf 1500 m zweigt die alte Paßstraße von der Schnellstraße ab, die alsbald in einem Tunnel verschwindet. Hier beginnt dann der wirklich schöne Teil. Die Paßhöhe empfängt mich freundlich (Foto 36) und dies ist mir eine längere Vesperpause wert. Auf der Nordseite kommt man bei etwa 2000m wieder auf die Schnellstraße, die bis hinunter nach Martigny (600m) ziemlich kurvenarm gebaut ist: eine der wenigen Abfahrten, wo man durchgängig über etwa 1000 hm richtig Tempo machen kann. Martigny ist schnell erreicht. Das Rhônetal ist, was den Wind angeht, phänomenal. Das Tal zieht sich vom Genfer See , anfangs recht breit und nur flach ansteigend über etwa 200 km bis hinauf zum Furkapaß (2431m), wo die Rhône in einem gewaltigen Gletscher entspringt. Das Tal ist auf beiden Seiten von hohen Bergen eingemauert es gibt keinen Ausgang. Im Sommer baut sich vormittags am Talgrund ein strammer Wind talaufwärts aus. Es ist die Thermik, die an den Südhängen des Alpenhauptkamms entsteht und wie ein gewaltiger Staubsauger die Luft aus dem Tal nach oben zieht. Die einzigen Längsverbindungen im Rhônetal zwischen Martigny und Brigg (dort zweigt der Simplonpaß Richtung Süden ab) sind eine Autobahn und eine Schnellstraße. Dann gibt es noch den Rhônetalradweg, der teils auf der Straße, teils im Zickzackkurs auf Ortsstraßen und Schotterwegen das Tal entlangläuft, nichts für jemanden, der vorwärtskommen will. Heute ist Sonntag, die Sonne scheint und ich jage mit 40 km/h die Schnellstraße talhochwärts. Es ist brechend heiß. Das Thermometer am Fahrradcomputer zeigt über 40 Grad. Ich spüre wie ich austrockne und ich weiß, daß das hundsgefährlich ist, aber der Geschwindigkeitsrausch hat mich im Griff und es ist weit und breit keine Wasserstelle auszumachen. Die Supermärkte haben heute geschlossen. So hangle ich von Ort zu Ort. In Sierre finde ich dann in einem Park einen Wasserhahn und trinke bis es nicht mehr geht. In Brigg gibt es im Bahnhof einen Supermarkt und mehrere Bäcker, die Sonntags offen haben. Dort decke ich mich für den Abend ein und fahre weiter Richtung Furkapaß. Von hier sind es noch etwa 45 km. Brigg liegt 900m hoch und hier beginnt die Steigung spürbar zu werden und der Fluß sich schrittweise in ein reißendes Gewässer zu verwandeln. Ich fahre noch etwa 15 km und bleibe dann auf einem Campingplatz direkt am Wasser. Am Himmel ist ein Fönfisch, eine stromlinienförmige, an den Rändern ausgefranste Wolke, die schlechtes Wetter ankündigt, aber noch scheint die Sonne. |
| 31.07.2006 | Brigg - Thusis (700m) Furkapaß (2431m), Oberalppaß (2044m) 165 km, 7:07 h, 2983 hm Der Tag beginnt sonnig. Das Vallis ist hier am schönsten, die Dörfer mit ihren steingedeckten Holzhäusern unbedingt sehenswert. Ulrichen liegt auf etwa 1500 m. Dort zweigt die Straße zum Nufenenpaß ab, der hinunter ins Tessin führt. Man kennt das von der Tour de Suisse. Das Rhônetal beginnt hier eine letzte große Steigung bis Gletsch (1800m), wo nach links der Anstieg zum Grimselpaß abzweigt und man voraus den Furkapaß mit dem Rhônegletscher in der linken Talflanke sehen kann. Die Rampe bis zur Paßhöhe ist bequem zu fahren. Von dort rückwärts gewandt sieht man etwas rechts den stets wolkenumhüllten Finsterarhorn (Foto 37). Die Abfahrt Richtung Realp (1600m) ist eng, kurvenreich und ständig von butterfahrenden Reisebussen verstopft. Ich bin genervt und lasse mich immer wieder zu riskanten Überholmanövern hinreißen. In Andermatt zweigt rechts die alte St. Gotthardstraße ab. Die Autobahn ist an viel tieferer Stelle durch den Berg geführt. Hier sieht man davon nichts. Geradeaus weiter geht es in den Oberalppaß, den ich in etwa 50 min bewältige. Ich muß mich mal wieder beweisen und lege mich mit einer jungen Radfahrerin an, die mir dann freundlich den Vortritt läßt. Die Pause auf der Paßhöhe fällt kurz aus, denn es kommt von Westen her Regen auf, mit dem ich nun einen Wettlauf das Rheintal hinab beginne. Heute ist Renntag und ich gewinne Land gegen das Unwetter. Ich habe Rückenwind, es jagt mich vor sich her. Mein Ziel für heute ist Thusis, wo ich auf der Herfahrt schon durchkam. Der Weg führt den Oberalppaß hinunter immer den Vorderrhein entlang bis Reichenau, wo Vorder- und Hinterrhein zusammenfließen und dann etwa 15 km den Hinterrhein hinauf. Ab Ilanz (700m) steigt die Straße wieder an auf etwa 1100 m. Sie ist dort aus Vorderrheintal hinausgeführt, um dann steil wieder nach Reichenau hineinzufallen. Den Anstieg keuche ich hoch wie um mein Leben. Ich will nicht naß werden. In Thusis holt der Regen mich dann ein, aber für heute habe ich gewonnen. Ich kaufe mir Abendbrot und heute mal zur Abwechslung die NZZ. Morgen ist in der Schweiz Nationalfeiertag und in der NZZ steht, daß das Wetter schlecht wird. Den Campingplatz erreiche ich in den ersten Regentropfen. |
| 01.08.2006 | Thusis - Pratt am Stilfserjoch Flüelapaß (2383m), Ofenpaß (2149m) 134 km, 6:19 h, 2961 hm In der Nacht ist eine Kaltfront durchgegangen und die nächste ist für den Tagesverlauf angekündigt. In zäher kalter, stehender Luft (wie im Herbst) fahre ich Richtung Tiefencastel und nehme dort den Anstieg zum Albulapaß. Dann geht es links die Landwaserstraße nach Davos, dort wo vor zweieinhalb Wochen der Radmarathon langging. Trotz des stetigen Anstiegs werde ich nicht warm. In Davos sieht es dann arg nach Regen aus aber ich gehe trotzdem in den Flüelapaß hinein. Auf 2000m beginnt der dicke Regen aber ich kann das gröbste in einer Hotelgarage aussitzen. Die Paßhöhe ist wolkenverhangen und es nieselt, ich sehe mal wieder aus wie ein begossener Pudel. Besserung ist nicht in Sicht und obwohl ich das absolut nicht mag, gehe ich bei nasser Straße in die Abfahrt hinunter nach Susch (1200m). Dort scheint sogar die Sonne und alles ist wieder gut. Dort dann rechts den Inn hinauf Richtung St Moritz bis Zernez, wo der Anstieg zum Ofenpaß beginnt. Bald liegt wieder Regen in der Luft. Ich vermute, daß er von hinten kommt und jage daher den Paß hinauf wie um mein Leben. Der Anstieg ist gleichmäßig und nicht allzu steil. Nur vor dem Tunnelabzweig Richtung Livigno geht es noch mal 300m hinunter. Wenn man das vorher weiß, erträgt man es ohne Fluch. Das Wetter scheint mich einzuholen. Diesmal läßt es mich nicht gewinnen. Ein leichter Nieselregen beginnt, der mich bis zur Paßhöhe begleitet. Oben regnet es in Strömen. Das Wetter hing nicht im Inntal, wo ich herkomme, sondern im Val Müstair, in das ich nun hineinfahre. Ich fühle mich überlistet und fahre anfangs im Regen hinunter nach Müstair (1000m). Ich überlege, ob ich mir dort das Kloster (aus der Zeit Karls des Großen Foto 38) anschaue, fühle mich dann aber mit meinen nassen Klamotten Fehl am Platz unter den dort herumspazierenden Bildungstouristen. Es bleibt bei einer kurzen Pause und ich fahre weiter ab nach Italien, wo ich dann nach ca 20 km in Pratt am Stilfserjoch bleibe. Hier war ich bereits auf der Herfahrt. Tendentiell sollte es nun weiter Richtung Bozen und von dort nach Osten ins Südtirol gehen. Für den nächsten Tag war noch mal gutes Wetter angekündigt und mein Plan lautet, von hier nicht den kurzen Weg zu nehmen (zu den Gründen siehe oben 14. 07.), sondern einen großen Bogen über Stilfserjoch, Gaviapaß, Passo del Tonale und Passo di Mendola nach Bozen zu fahren |
| 02.08.2006 | Pratt am Stilfserjoch-Brez Stilfserjoch (2757m), Passo di Gavia (2621m), Passo del Tonale (1884m) 155 km, 8:15 h, 4113 hm In der Nacht hat es geregnet. Die Luft ist kühl aber die Sonne scheint, ein leichter Wind treibt kleine tiefhängende Wolken vor sich her, die graue Schatten an die Bergflanken werfen. Das Wetter steht auf der Kippe. Ich spiele auf Risiko und gehe in den Anstieg zum Stilfserjoch. Die Sonne setzt sich durch. Nach 2:22:46 h bin ich oben eine leichte Verbesserung. Der Wurstverkäufer grinst mich an. Ihm erzähle ich, daß es mir tatsächlich so vorkomme hier kürzlich schon mal gewesen zu sein, ich hättemich wohl verfahren. Entschuldigen muß man sich für solche Verrücktheit nicht der ganze Paß ist voll von Radfahrern, die wahrscheinlich alle nicht das erstemal hier sind. In der Abfahrt, dort wo die Straße in die Schlucht nach Bormio eintaucht, dort wo die engen, unbeleuchteten, tropfnassen Tunnel sind, staut sich der Verkehr aber ich rolle links vorbei. Vor einer Tunneleinfahrt liegen auf der linken Seite zwei zerbeulte Motorräder, rechts ist eine große Blutlache, um die ich einen Bogen mache. Die Verletzten wurden gerade ausgeflogen. Der Hubschrauber kann hier nicht landen, mußte die Bergung aus der Luft vornehmen. Bin ich kaltherzig, wenn ich jetzt kein Mitleid empfinde? Es kann hier jeden erwischen, ob er etwas dafür kann oder nicht. Die Strecke ist kreuzgefährlich und man fährt sie trotzdem, immer wieder Übervorsichtig fahre ich in die nächsten Tunnel, obwohl der Gegenverkehr steht. In Bormio habe ich dann mein altes Tempo wieder, so schnell vergißt man. Unten im Ort geht es schräg links hinauf in den Gaviapaß. Der Anstieg ist steil und nicht mehr so entspannt, wenn man bereits das Stilfserjoch in den Knochen hat. Das Wetter hält. Oben scheint die Sonne (Foto 39) und ich mache eine längere Pause. Die Abfahrt Richtung Ponte di Legno ist eng und steil und erinnert eher an einen asphaltierten Waldweg. Unten (800m) geht es rechts auf der Hauptstraße Richtung Bozen zügig auf den Passo del Tonale. Ich gebe Gas, weil eine Regenwand das Tal hinaufgezogen kommt und gewinne das Rennen. Sie ist dann wohl an der Paßhöhe hängen geblieben, während ich mit schönem Rückenwind wieder talabwärts jage. Weiter unten, nach etwa 40 km ist dann der Fluß, an dem die Straße entlangführt, zum Lago di Giustina aufgestaut, den ich nach etwa einer Stunde erreiche. Dort geht es links wieder bergan. Die Straße führt durch Apfelplantagen, die wie Weinberge angelegt sind sowie durch malerische Städtchen und Dörfer. Regen deutet sich an, aber er will auch die ganze folgende Nacht hindurch nicht beginnen. Ich wußte das nicht und bekomme es daher eilig mit der Suche nach einem Übernachtungsplatz. Kurz hinter Brez bleibe ich dann in einem Wald, wo es zum Glück ein ebenes Fleckchen Wiese für das Zelt gibt. |
| 03.08.2006 | Brez Canazei (1500m) Passo di Mendola (1363m), Karerpaß (1740m) 90 km, 4:54 h, 2265 hm Für heute ist richtig schlechtes Wetter angesagt. Kurz nach Aufbruch beginnt der Nieselregen, der mich über den Passo di Mendola und durch Bozen (300m) hindurch begleitet. Dort beginnt ein langsamer, landschaftlich reizvoller Anstieg in einem Flußtal über etwa 25 km hinauf zum Karerpaß. Der Niesel wird zum Dauerregen. Schnell bin ich durch bis auf die Knochen und die Abfahrt vom Karerpaß hinunter ins Val di Fossa wird zur Hölle. Canazei erreiche ich am frühen Nachmittag. Mehr hatte ich mir für heute nicht vorgenommen. Die Welt ist grau vor Regen und ich bin am Ende. Jederzeit hätte ich mich in ein Hotel retten können aber ernsthaft habe ich nicht darüber nachgedacht. Bei dem Zustand, in dem ich mich nun befinde, ist es aussichtslos, wieder warm zu werden, zumal der Regen nicht aufhört. In einem Bäckerladen hole ich mir erstmal was zu essen. Hier stehe ich trocken, aber trocken werde ich nicht, auch nicht warm. Die junge Bäckerin hat Mitleid und gibt mir einen Packen Servietten. Ich gehe dann doch wieder in den Regen, fahre zum Campingplatz am Ortsausgang und melde mich für die Nacht an, obwohl ich nicht weiß, wie ich in meinem Zustand das Zelt aufbauen soll, im Regen. Der Gedanke an einen trockenen Schlafsack ist verlockend. Ich setze mich in die Kaffeebar und warte. Das Zittern will nicht aufhören aber draußen wird es heller. Der Regen hört auf und gegen drei scheint die Sonne. Die Berge ringsum sind bepudert. Langsam kommt auch von innen heraus wieder Wärme. Ich baue das Zelt auf, nehme eine warme Dusche und in der Zwischenzeit trocknen die nassen Klamotten in der Sonne. Der Tag ist gerettet und alles war nur ein böser Traum. Den Nachmittag wandle ich durch die Stadt. Sie ist voll von italienischen Urlaubern. |
| 04.08.2006 | Canazei Heiligenblut (1200m) Passo Pordoi (2239), Passo di Falzarego (2105) 157 km, 6:31 h, 2490 hm Aus Canazei heraus geht es sofort in die Rampe zum Passo Pordoi (Foto 40), den ich nach etwas mehr als einer Stunde erreiche. Oben ist es frühwinterlich (Foto 41). Die Gegend hier reizt mich nicht. Im letzten Jahr bin ich hier in die andere Richtung bei wärmerem Wetter unterwegs gewesen und ich empfand dasselbe. Woran es liegt, weiß ich nicht. Die Abfahrt führt dann in ein teils schluchtartiges Flußtal und nach etwa 25 km zweigt es auf 1400 m Höhe links ab in den Anstieg zum Passo di Falzarego. Oben beginnt es mal wieder zu regnen aber ich trete erfolgreich die Flucht hinunter nach Cortina d`Ampezzo (1300m) an, eine Stadt wie aus dem Reiseprospekt, die mich aber trotzdem nicht anspricht. Irgendwo hier in der Nähe sollen die Drei Zinnen sein, aber ich habe sie nicht gesehen. Aus Cortina hinaus Richtung Toblach steigt die Straße dann wieder stetig über etwa 10 km auf 1500m, was mich nicht stört. Dann geht es ebenso flach wieder hinunter nach Toblach (1200m). Hier fahre ich rechts auf die Fernstraße Richtung Lienz in Österreich. Es geht dort leicht bergein und mit Rückenwind fahre ich im Affenzahn dem Finale dieser Reise entgegen, dem Großglockner. In Lienz fasse ich Vorräte für den Abend und setze mich auf die Straße nach Norden. Bevor es in den Anstieg zum Großglockner geht, der zunächst flach in einem Flußtal beginnt, ist noch ein etwa 1500 m hoher Zwischenpaß zu überwinden. Ich habe von dieser Gegend keine Karte dabei und navigiere nach Erinnerung. In der Abenddämmerung komme ich dann auf einer links der Straße liegenden schönen Obstwiese unter, auf der der Bauer einen Campingplatz betreibt. Die Nacht wird kalt, aber das schreckt mich nicht. Wenn ich alle meine Klamotten anziehe: T-Shirts, Vlies, lange Radhose, Windjacke, geht der Sommerschlafsack (der so dünn ist, daß er nichtmal einen Temperaturbereich angibt), auch bei Zelttemperaturen von 7 Grad bequem und genau die messe ich am Morgen, bevor ich mich aus der Wärme in das letzte Bergabenteuer dieses Jahres stürze. |
| 05.08.2006 | Heiligenblut Rosenheim Großglockner (2500m) 195 km, 8:09 h, 2489 hm Die Luft ist kühl, die Sonne wechselt mit grauen, dünnen, tiefhängenden Wolken. Wärme bekomme ich nur von innen heraus durch die Steigung, die sich ab Heiligenblut zu den für Österreich üblichen 10% plus verschärft. Mit der Höhe wird es schnell kälter, was ich zunächst nicht merke. Winter liegt in der Luft. Bei etwa 2300 m beginnt eine geschlossene Schneedecke (Foto 42) und am Hochtor ist es winterlich grau (Foto 43). Ich denke an Weihnachten aber dabei wird mir übel. Ich will hier nur noch runter. Nach dem Tunnel fällt es dann erstmal wieder auf 2200 m. Das reicht, um mir den Frost unter die Fingernägel zu treiben. Ich freue mich auf den nächsten Anstieg, der dann wieder auf 2400 m führt. Dies war für umsonst: zum Warmwerden reicht es nicht und nun kommt die Hölle: Das Thermometer steht kurz über dem Gefrierpunkt. Die Luft ist feucht. Außer einer langen Radhose, dem Trikot, einer Joggingveste und der Windjacke habe ich nichts an und ich will nur eins: hier runter. Ich beiße die Zähne zusammen und tue, was ich tun muß. Die Straße ist naß und kurvenreich, die Hände klamm. Wenn sich jetzt vor mir ein Schlund zur Hölle auftut, springe ich hinein, nur der Wärme wegen. Die halbe Stunde durch unendlich viele Kurven zieht sich zur Ewigkeit. Ganz zäh nur wird es wärmer. Unten in Bruck (750m) hat es dann 15 Grad. Ich beeile mich, irgendwie weiter Richtung Deutschland zu kommen und suche auf der Landkarte einen Ausgangspunkt, von dem aus man bequem durch Süddeutschland zurück nach Jena fahren kann. Ich wähle Rosenheim. Von dort läuft die B 15 direkt nach Norden und sie sieht auch nicht so arg befahren aus. Es scheint perfekt: 2-3 Tage bis nach Hause dürften zu machen sein. Von Bruck geht es zunächst weiter am Zeller See entlang nach Saalfelden, dort nach links Richtung St. Johann. Bis dorthin zieht sich die Straße noch mal über eine sanfte Höhe von 960m. Zwischendurch regnet es immer wieder. Von St. Johann weiter nach Kufstein am Inn. Deutschland empfängt mich dann mit freundlichem Spätnachmittagswetter, in dem ich am Inn entlang durch Rosenheim guten Mutes weiter nach Norden fahre. Kurz vor meinem heutigen Ziel, einem Campingplatz an der B 15 erwischt mich noch mal ein starker Schauer. Die Nacht regnet es dann durch und ich entschließe mich für den nächsten Tag zum Abbruch. Die schlechte Wetterprognose für den Folgetag hatte ich am Nachmittag noch verdrängen können, in der Nacht aber hat mich der Mut verlassen. |
| Es wäre perfekt gewesen, auch wieder bis Jena zurück zu fahren. 500 km fehlten. Den üblen Beigeschmack, etwas nicht perfekt gemacht zu haben, nehme ich in Kauf, denn auf Regen habe ich keine Lust mehr. Perfekt geworden ist dafür die Fahrt entlang des Alpenbogens wie ich es mir vorgenommen habe zwischen dem Col de la Bonette im Südwesten und dem Großglockner im Osten. Diesseits und jenseits gibt es keine Hochgebirgspässe (alles was mehr als 2000m hat). Dazwischen lag eine 11 tägige Fahrt von 1.545 km über 16 Hochgebirgspässe mit insgesamt 32.222 hm. Insgesamt war dieser Urlaub 27 Tage lang. Ich bin 3.500 km über 24 Hochgebirgspässe und eine Höhendifferenz von 54.500 m gefahren. Ich freue mich auf das nächste Mal. | |